Deutscher Wetterdienst (DWD) Wetterradar vs. Windenergieanlagen: „Begrenzter Regelungsspielraum“ für die Frage der Beeinträchtigung des Radars zugunsten DWD? / Bundesamt für Flugsicherung (BAF) – BVerwG 7. April 2016 – 4 C 1.15)

Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat mit der Entscheidung vom 7. April 2016 (Az. 4 C 1.15) über die Vereinbarkeit von so genannten Drehfunkfeuern mit Windenergieanlagen entschieden. Im Kern ging es um die Frage, ob die Flugsicherungseinrichtung durch geplante Windenergieanlagen gestört werden können – so die Einschätzung des BAF – oder ob mit Störungen nicht zu rechnen sei – so das Ergebnis eines vom Kläger vorgelegten Gutachtens. Das BVerwG entschied, dass es die gerichtliche Fachkompetenz überschreite zu bestimmen, welches Gutachten zutreffe und billigte letztlich dem BAF einen „begrenzten Regelungsspielraum“ im Rahmen von § 18a Absatz 1 Satz 1 LuftVG zu, der gleichbedeutend ist mit der Maßgabe, dass im Zweifel die Begutachtung durch das BAF die zutreffende Beurteilung darstellt. Bei diesem „begrenzten Regelungsspielraum“ handelt es sich wie bei der im Verwaltungsrecht anerkannten Einschätzungsprärogative und dem Beurteilungsspielraum um einen Bereich, der der vollen gerichtlichen Kontrolle entzogen ist. Es ist Sache des BAF zu entscheiden, ob eine Beeinträchtigung zu erwarten ist. Eine gerichtliche Kontrolle der Entscheidung des BAF erfolgt nicht bzw. nur sehr eingeschränkt, etwa im Hinblick darauf, ob das BAF von zutreffenden Voraussetzungen ausgegangen ist, bei der Begutachtung methodische Fehler begangen hat oder die Entscheidung augenscheinlich unzutreffend ist.

Beeinflussung von Wetterradaren

Zu Konflikten kommt es auch bei der Errichtung von Windenergieanlagen, wenn sich diese in einem Umkreis von weniger als 15 Kilometer um ein Wetterradar des Deutschen Wetterdienstes (DWD) befinden. In diesen Fällen beanstandet der DWD regelmäßig, dass die Windenergieanlage Beeinträchtigungen verursache, die die Funktionsfähigkeit des Wetterradars beeinträchtigen. Die Funktionsfähigkeit des Wetterradars sei gemäß § 35 Absatz 3 Satz 1 Nummer 8 BauGB als entgegenstehender öffentlicher Belang zu berücksichtigen, sodass, von einigen Ausnahmen abgesehen, Windenergieanlagen in dem 15-Kilometer-Umkreis unzulässig seien. Ähnlich wie bei den Konflikten mit dem BAF stehen sich auch hier häufig sich widersprechende Gutachten gegenüber. Den Vorhabenträgern gelingt zumeist der gutachtliche Nachweis, dass die Beeinflussungen durch die Windenergieanlagen praktisch nicht relevant sind und daher die Funktionsfähigkeit des Radars nicht beeinträchtigen. Dem hält der DWD aber entgegen, dass eine Funktionsbeeinträchtigung sehr wohl vorliege oder zumindest nicht auszuschließen sei. Hierbei meint der DWD, dass ihm ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zustehe.

Rechtsfragen obergerichtlich geklärt durch VGH München und OVG Koblenz

Viele Rechtsfragen um die Konflikte zwischen Wetterradar und Windenergie, etwa um den Umgang mit dem Belang gemäß § 35 Absatz 3 Satz 1 Nummer 8 BauGB und der Durchsetzungskraft der gemäß § 35 Absatz 1 Nummer 5 BauGB im Außenbereich privilegierten Windenergie sowie der aus der Aufgabenwahrnehmungszuweisung nach § 4 DWDG abzuleitenden Aktivlegitimation sind mittlerweile obergerichtlich geklärt. Zuletzt befassten sich der VGH München (Urteil vom 18. September 2015 – 22 B 14.1263) und das OVG Koblenz (Urteil vom 13. Januar 2016 – 8 A 10535/15.OVG) mit der Materie. Beide Gerichte erteilten dem vom DWD geforderten Beurteilungsspielraum eine Absage. Namentlich sei es nicht Sache des DWD zu bestimmen, ob eine Funktionsbeeinträchtigung des Radars zu erwarten sei. Vielmehr sei diese Frage voll gerichtlich überprüfbar. Aufgrund der grundlegenden Bedeutung der Sache ließen indessen sowohl der VGH München als auch das OVG Koblenz die Revision zum Bundesverwaltungsgericht zu. Mit Entscheidungen des BVerwG ist voraussichtlich noch im dritten Quartal 2016 zu rechnen.

Wird das BVerwG dem DWD einen „begrenzten Regelungsspielraum“ zubilligen?

Mit größter Wahrscheinlichkeit ist nicht zu erwarten, dass das BVerwG dem DWD einen Beurteilungsspielraum bzw. einen „begrenzten Regelungsspielraum“ einräumt für die Frage, ob eine Funktionsbeeinträchtigung des Radars zu befürchten ist: Das BVerwG hat den Bereich der gerichtsfreien Entscheidungen zwar durch die neue Kategorie des „begrenzten Regelungsspielraums“ zugunsten des BAF erheblich ausgedehnt. Diese Ausdehnung stellt aufgrund der eingeschränkten gerichtlichen Überprüfbarkeit einen harten Eingriff in das Gebot des effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Absatz 4 GG dar. Deshalb bleibt abzuwarten, ob das BVerfG an der neuen Kategorie des gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren „begrenzten Regelungsspielraums“ in Zukunft überhaupt festhält. Mit Sicherheit ist aber davon auszugehen, dass das BVerwG diese Kategorie nicht leichtfertig auf andere Materien überträgt, sondern damit eher restriktiv verfährt. Dafür sprechen auch weitere Gründe: Während § 18a Absatz 1 Satz 2 LuftVG regelt, „Das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung entscheidet auf der Grundlage einer gutachtlichen Stellungnahme der Flugsicherungsorganisation, ob durch die Errichtung der Bauwerke Flugsicherungseinrichtungen gestört werden können“, findet sich eine entsprechend Regelung im DWDG nicht. Vielmehr werden im DWDG lediglich die Aufgaben des DWD geregelt, ohne dass darin festgeschrieben wird, wer über eine Funktionsbeeinträchtigung zu entscheiden hat. Auch im Hinblick auf die Schutzgüter unterscheiden sich die Materien erheblich voneinander: Funktionsbeeinträchtigungen bei Flugsicherungseinrichtungen können zu katastrophalen Personen- und Sachschäden führen, wohingegen die Beeinträchtigungen von Wetterradaren nicht geeignet ist, ähnliche Schäden zu verursachen. Der DWD versucht immer wieder, seine Warntätigkeit bei Extremwettersituationen ins Feld zu führen, die auch den Schutz von Leib und Leben umfassten. Diese Argumentation greift aber nicht durch, da die Methoden zur Erkennung von Extremwettersituationen, vor denen der DWD warnt, von den Windenergieanlagen gänzlich unbeeinflusst sind. Beim BAF-Drehfunkfeuer besteht daher im Falle der Funktionsbeeinträchtigung ein hohes Risiko für höchste Schutzgüter, wohingegen beim DWD in den Bereichen, in denen höchste Schutzgüter berührt sind, ein geringes Risiko besteht, das zudem durch die Beeinflussungen der Windenergieanlagen nicht erhöht wird. Zu guter Letzt korrespondiert die vom BVerwG zugunsten des BAF angenommene Entscheidungskompetenz in Gestalt des „begrenzten Regelungsspielraums“ mit Entschädigungsregelungen des Luftverkehrsgesetzes. Nach § 19 LuftVG ist nämlich dem Eigentümer oder einem anderen Berechtigten der Vermögensnachteil zu ersetzen, der ihm aufgrund von Maßnahmen nach § 18a LuftVG entsteht. Eine solche Regelung findet sich im DWDG nicht. Dem DWD steht daher weder ein Beurteilungsspielraum noch ein „eingeschränkter Regelungsspielraum“ zur Seite. Vielmehr ist die Frage, ob der Belang des § 35 Absatz 3 Satz 1 Nummer 8 BauGB, auf den sich der DWD beruft einschlägig ist, voll gerichtlich überprüfbar.

Kann ein Beurteilungsspielraum unmittelbar aus der Verfassung hergeleitet werden?

Die Frage, ob ein Beurteilungsspielraum unmittelbar aus der Verfassung hergeleitet werden kann, könnte nun vom BVerwG thematisiert werden. Ansatzpunkte, die für einen Beurteilungsspielraum zugunsten des DWD sprechen, finden sich in den gesetzlichen Grundlagen, insbesondere im DWDG nicht. Aufgrund des Vorbehaltes des Gesetzes bedarf die Einräumung von gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren behördlichen Letztentscheidungsbefugnissen einer gesetzlichen Ermächtigung (BVerfG, Beschluss vom 31. Mai 2011 – 1 BvR 857/07). Wenn ein Gericht eine solche Letztentscheidungsbefugnis zugunsten der Exekutive annimmt, obgleich eine gesetzliche Regelung hierzu nicht existiert, verstößt dies gegen Art. 19 Absatz 4, 20 Absatz 3 und 97 Absatz 1 GG (BVerfG, wie vor). Ob behördliche Letztentscheidungsbefugnisse unmittelbar aus der Verfassung gefolgert werden dürfen, wenn es an einer gesetzlichen Regelung fehlt, ist verfassungsrechtlich bislang nicht entschieden worden, sondern wurde vom Bundesverfassungsgericht vielmehr offen gelassen:

„… Offenbleiben kann, ob gerichtlich nur eingeschränkt nachprüfbare Entscheidungsspielräume der Verwaltung ausnahmsweise auch ohne gesetzliche Grundlage von Verfassungs wegen dann zulässig sind, wenn eine weiter gehende gerichtliche Kontrolle zweifelsfrei an die Funktionsgrenzen der Rechtsprechung stieße …“ (BVerfG, Beschluss vom 31. Mai 2011 – 1 BvR 857/07)

Es bleibt abzuwarten, ob das Bundesverwaltungsgericht den Versuch unternimmt, einen Beurteilungsspielraum bzw. einen „begrenzten Regelungsspielraum“ unmittelbar auf das Grundgesetz zu stützen. Angesichts der Schutzgüter und in Betracht kommenden verfassungsrechtlichen Normen ist das wohl fernliegend und allemal nicht Erfolg versprechend. Denn besonders gewichtige Schutzgüter, die eine Argumentation mit Art. 2 Absatz 2 Satz 1 GG – Leben und körperliche Unversehrtheit – ermöglichen, sind nicht berührt.

Fazit

Kurzum: Dem DWD steht für die Frage, ob eine Funktionsbeeinträchtigung von Radaren zu befürchten ist, weder ein Beurteilungsspielraum noch ein „begrenzter Regelungsspielraum“ zu. Ein solcher gerichtsfreier Spielraum lässt sich nicht dem Gesetz entnehmen. Es ist nicht geklärt, ob ein solcher Spielraum unmittelbar auf Normen der Verfassung gestützt werden kann. Allerdings ist nicht zu erwarten, dass diese Frage hier geklärt wird, da Verfassungsnormen, auf die der DWD sein Bedürfnis nach einem gerichtlich nicht überprüfbaren Spielraum stützen könnte, nicht ersichtlich sind.