OVG Greifswald erklärt Regionales Raumordnungsprogramm für Westmecklenburg teilweise für unwirksam

Nach heutiger mündlicher Verhandlung hat das Oberverwaltungsgericht M-V das Regionale Raumordnungsprogram für Westmecklenburg für unwirksam erklärt, soweit dies die Herausnahme des Windenergie-Eignungsgebiets Groß Krams betrifft (Az. 3 K 44/11). In der 39. Verbandsversammlung beschloss der Planungsverband Westmecklenburg, das Eignungsgebiet, nachdem es zuvor mehrfach verkleinert worden ist, zu streichen. Hiergegen wandten sich Planer, die Pachtverträge für die Errichtung von Windenergieanlagen abgeschlossen hatten. Das Gericht stützt die Entscheidung sowohl auf formelle als auch auf materielle Mängel. Zunächst sah das OVG in der Herausnahme des Eignungsgebietes – entgegen der Argumentation des beklagten Landes Mecklenburg-Vorpommern – sehr wohl als rechtlich relevante Festlegung an.

Keine „Weißfläche“ durch Herausnahme des Eignungsgebiets

Das Land hatte vorgetragen, die Herausnahme des Eignungsgebietes habe lediglich zum Ausdruck bringen sollen, dass für die Fläche keine Regelung beabsichtigt war, wodurch eine so genannte „Weißfläche“ entstanden sei. Der Vorsitzende Richter Sauthoff folgte dieser Argumentation nicht. Er wies zunächst darauf hin, dass die Begrifflichkeit „Weißfläche“ missverständlich sei, da dieser Begriff im Rahmen der Erstellung der Gebietskulissen für prinzipiell nicht ungeeignete Flächen, aus denen heraus Eignungsgebiete entwickelt werden können, verwendet wird. Die Ankündigung, aus diesem Grund auf die Verwendung des Begriffs zu verzichten, setzte er indessen im Verlauf der weiteren mündlichen Verhandlung nicht konsequent um. Ob die Verwendung tatsächlich missverständlich ist, darf bezweifelt werden, da in beiden Fällen, das heißt sowohl bei der Kulissenbildung als auch bei dem nachträglichen Wegfall der planerischen Wirkung, zunächst einmal ein unbeplanter „weißer“ Raum besteht und insoweit durchaus dasselbe gemeint ist. Zurück zur Sache: Die Frage, ob der Herausnahme des Eignungsgebietes eine Regelungswirkung beizumessen sei, entscheide sich, so das OVG M-V, anhand der für die Auslegung maßgeblichen Rechtsverordnung vom 31.08.2011. Aus dieser seien keine Anhaltspunkte ersichtlich, aus denen gefolgert werden könnte, dass die Fläche bei der Betrachtung außen vor gelassen werden sollte. Auf die Zulässigkeit solcher „Weißflächen“ kam es daher in diesem Fall nicht an. Das Gericht sah die im Verwaltungsrecht notwendige Antragsbefugnis als gegeben an. Diese ergibt sich aus der möglichen Rechtsverletzung, da die Antragsteller Inhaber obligatorischer Nutzungsrechte sind. Dass auch obligatorische Nutzungsrechte in Form eines Pacht- bzw. Nutzungsvertrags ausreichen und keineswegs dingliche Rechte erforderlich sind, etwa in Form von Eigentum oder Dienstbarkeiten, entspricht der ständigen Rechtsprechung.

Verfahrensfehler und materielle Fehler

Das OVG erkannte erhebliche Verfahrensfehler. Vor der Entscheidung über die Herausnahme des Eignungsgebietes Groß Kramps war der Plan nicht öffentlich bekannt gemacht worden. Zwar könne eine öffentliche Bekanntmachung unter Umständen entbehrlich sein, wenn die Grundzüge der Planung nicht betroffen seien. Bei der Hinzufügung oder der Herausnahme eines Eignungsgebietes sei indessen stets von einem nach dem Landesplanungsgesetz in der hier anzuwendenden Fassung aus 1998 und dem Raumordnungsgesetz (§ 12 Abs. 1 ROG) auszugehen. Tragend für die Entscheidung waren auch materielle Fehler, denn die Abwägung war fehlerhaft. Aus der Begründung des Verbandsbeschlusses und der Abwägungsdokumentation ergibt sich, dass eine hinreichende Abwägung nicht erfolgte. So könne eine Bezugnahme auf Einwendungsschreiben eine eigene Abwägung nicht ersetzen, jedenfalls dann nicht, wenn die Einwender eine Vielzahl von Einwendungen vorgebracht haben und nicht erkennbar ist, welche dieser Einwendungen für den Verband am Ende tragend gewesen sein sollen. Darüber hinaus erkannte das Gericht auch Mängel im Rechtssetzungsverfahren, da der hier verfahrensgegenständliche Beschluss der 39. Verbandsversammlung im Zuge der 40. Verbandsversammlung noch vor Inkraftsetzung des RROP per Rechtsverordnung durch die Verbandsversammlung selbst wieder in Frage gestellt worden ist. Daraus sei zu erkennen, dass der in Kraft gesetzte Plan gar nicht mehr dem Willen des Verbands entsprochen habe. Freilich lässt sich diesem Argument entgegenhalten, dass der Verband in gewissen Grenzen selbst Herr des Verfahrens ist und es möglich sein muss, dass der Verband von einer ursprünglichen Planung später wieder abrückt. Dass die verbandsinterne Willensbildung einmal schneller sein kann als das Rechtsetzungsverfahren, namentlich die Inkraftsetzung per Rechtsverordnung, dürfte diesem Recht des Verbands nicht entgegenstehen. Es bleibt abzuwarten, ob das Gericht in den schriftlichen Entscheidungsgründen, die noch nicht vorliegen (19.05.2015), die in der mündlichen Entscheidungsbegründung angeführte Argumentation in dieser Absolutheit vertritt. Ich rechne nicht damit.

Undurchführbares Verwaltungsrecht: Widerspruchsberechtigung des Vorstands binnen zwei Wochen

Für Verwaltungsrechtler interessant war darüber hinaus ein Gesichtspunkt, den das Gericht in der mündlichen Verhandlung thematisierte, der aber, da er für die Entscheidung nicht erheblich ist, in den Entscheidungsgründen nicht oder nur sehr knapp ausgeführt werden wird. Und zwar erhob der Verbandsvorsitzende Christiansen gegen die Wiederaufnahme des Eignungsgebiets Groß Krams Widerspruch. Eine Widerspruchsmöglichkeit steht aber nach den für kommunale Zweckverbände entsprechend anzuwendenden Regelungen (§ 12 Absatz 5 LPlG M-V) nicht dem Vorsitzenden, sondern dem Vorstand zu. Daraus ergibt sich die Frage, wie der Vorstand binnen der dafür geltenden Zwei-Wochen-Frist überhaupt zur Ausübung seines Rechts in der Lage sein soll, da eine Vorstandsversammlung wohl kaum innerhalb der Frist abgehalten werden kann. Im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung wären die Vorschriften, so das OVG M-V, daher entweder dahingehend auszulegen, dass nicht die Zwei-Wochen-Frist, sondern eine längere Frist anzuwenden ist oder dass dem Verbandsvorsitzenden das Recht eingeräumt wird, den Widerspruch selbst zu erklären. Bemerkenswert sind beide Lösungsansätze, da sie dem Wortlaut des Gesetzes widersprechen. Darüber hinaus wäre auch die – vom Gericht nicht angeführte – Lösung zweckmäßig, dass der Verbandsvorsitzende den Vorstand zunächst vollmachtlos vertritt und seine zunächst schwebend unwirksame Erklärung genehmigt. Eine Genehmigung hat grundsätzlich Rückwirkung (vgl. § 184 BGB), was allerdings bei fristgebundenen Erklärungen zur Folge hat, dass die Genehmigung nur binnen der Frist erfolgen kann, da anderenfalls der Sinn der Frist unterlaufen würde. Dabei muss der Gesetzgeber sich aber die Frage gefallen lassen, welchen Sinn eine nicht einzuhaltende Frist haben soll.

Raumordnungsrecht. Ein Buch mit sieben Siegeln?

Die Entscheidung zeigt einmal mehr, dass das Raumordnungsrecht für viele der beteiligten Akteure offenbar noch immer unsicheres Terrain darstellt. Das überrascht, denn die Entscheidung fördert (bis auf die zuletzt thematisierte Rechtsfrage der faktisch undurchführbaren Widerspruchsberechtigung, auf die es hier nicht ankam) keinerlei Neuigkeiten zu Tage. Konsequenterweise hat das OVG M-V deshalb die Revision nicht zugelassen.

Rechtmittel mit Suspensiveffekt – Nichtzulassungsbeschwerde zum BVerwG

Nun besteht für das im Normenkontrollverfahren unterlegene Land die Möglichkeit, eine Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesverwaltungsgericht zu erheben. Dadurch wird immerhin die Rechtskraft gehemmt und es wird – aus Sicht des Planungsverbands – wertvolle Zeit für Nachbesserungen gewonnen. Bis dahin entfaltet der angegriffene Plan im Bereich der Fläche des herausgenommenen Eignungsgebietes Groß Krams keine Wirkung, was auch bedeutet, dass die Ausschlusswirkung gemäß § 35 Absatz 3 Satz 3 BauGB nicht greift. Faktisch können auf der „Weißfläche“ nun wie in einem Eignungsgebiet Windenergieanlagen errichtet werden. Die Tragweite der Entscheidung geht aber darüber hinaus, denn über diese so genannte inter omnes-Wirkung hinaus zeigt die Entscheidung zahlreiche Mängel auf, die im Rahmen einer Inzidentprüfung zu dem Ergebnis führen, dass das RROP rechtswidrig und damit nicht anzuwenden ist. Eine solche Inzidentprüfung erfolgt stets, wenn eine auf Erteilung einer Genehmigung gerichtete Klage erhoben wird und das Verwaltungsgericht im Rahmen des Verfahrens prüft, ob das Vorhaben zulässig ist. Bei den Genehmigungsbehörden werden Antragsteller aber nicht auf offene Ohren stoßen, da den Behörden grundsätzlich keine Normverwerfungskompetenz zusteht.