Verwaltungsgericht Schwerin weitet Anwendungsbereich von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden im Bereich des Bauplanungsrecht erheblich aus, „Haus der Energien“ Börgerende – Beschluss vom 28.2.2017 – 1 B 3928/16 SN (nicht rechtskräftig)

Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes um ein Bürgerbegehren bzw. einen Bürgerentscheid zu dem in Börgerende geplanten „Seehzeichen Börgerende / Haus der Energien und Sportforum“ entschied das Verwaltungsgericht Schwerin vorläufig zugunsten der Bürgerinitiative, die ein Bürgerbegehren durchführen möchte zu der Frage: „Soll in Börgerende, auf dem Feld östlich des Driftswegs, ein Hochhaus und ein Sportforum mit einem Sportplatz und weiteren Gebäuden errichtet werden?“ (Beschluss vom 28.2.2017 – 1 B 3928/16 SN). Das Vorhaben bedarf eines Bebauungsplans sowie der Anpassung des geltenden Flächennutzungsplans. Die Gemeinde wollte das Bürgerbegehren nicht zulassen, da sie sich in ihrer Planungshoheit beeinträchtigt sah. Die Zulässigkeit von Bürgerbegehren im Bereich des Rechts der Bauleitplanung ist in den Bundesländern unterschiedlich geregelt. In Mecklenburg-Vorpommern ist etwa geregelt, dass ein Bürgerentscheid nicht stattfindet über die Aufstellung, Änderung und Aufhebung von Bauleitplänen (§ 20 Absatz 2 Nummer 4 KV M-V). Unter anderem hierauf stützte die Gemeinde ihre Argumentation, denn die Schaffung eines Bebauungsplans und die Änderung des F-Plans betrifft die „Aufstellung und Änderung“ von Bauleitplanung. Das Verwaltungsgericht folgte dem nicht und begründete seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt: Mit Bürgerentscheiden könne, so das Gericht, über wichtige Angelegenheiten des eigenen Wirkungskreises der Gemeinde entschieden werden. Unter Hinweis auf eine Entscheidung des bayrischen Verwaltungsgerichtshofs meint das VG Schwerin, dass grundsätzlich auch die Einstellung einer Bauleitplanung Gegenstand eines Bürgerbegehrens sein könne, sofern die Gemeinde nicht zur Planung verpflichtet sei, was hier nicht zu erkennen sei. Politische Grundsatzentscheidungen, bei denen die Bürger lediglich entscheiden müssen, ob sie für oder gegen eine Planung seien, könnten daher im Wege des Bürgerbegehrens entschieden werden. Zum Beleg dieser Aussage führt das VG Schwerin eine Entscheidung des VGH Baden-Württemberg an (Beschluss vom 27. Juni 2011 – 1 S 1509/11).

Entscheidung hält einer Überprüfung nicht stand

Die Entscheidung begegnet erheblichen Bedenken. Das VG Schwerin, welches die Rechtslage im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes lediglich kursorisch zu prüfen hat, hat Rechtsprechung anderer Bundesländer angeführt und angewendet, ohne darauf einzugehen, ob die diesen Entscheidungen zugrundeliegende Rechtslage überhaupt mit der Rechtslage in Mecklenburg-Vorpommern vergleichbar ist. Tatsächlich ist weder die Rechtslage in Bayern noch die Rechtslage in Baden-Württemberg mit der Rechtslage in Mecklenburg-Vorpommern vergleichbar: Anders als in Mecklenburg-Vorpommern enthält die bayrische Gemeindeordnung für Bürgerbegehren keine Ausnahme für die Aufstellung und Änderung von Bauleitplanung (vgl. § 18a BayGO). Auch die Rechtslage in Baden-Württemberg ist nicht mit der Rechtslage in M-V zu vergleichen: während die Gemeindeordnung Baden-Württemberg in der für den zitierten Beschluss (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 27. Juni 2011 – 1 S 1509/11) maßgeblichen Fassung eine Ausnahme für „… Bauleitpläne und örtliche Bauvorschriften …“ enthält (§ 21 Absatz 2 Nummer 6 GemO B-W 2010), erstreckt sich die Ausnahme in Mecklenburg-Vorpommern auf „… die Aufstellung, Änderung und Aufhebung von Bauleitplänen“ (§ 20 Absatz 2 Nummer 4 KV M-V, Hervorhebung durch Unterstreichung durch den Verfasser). Es ist zu konstatieren, dass sich der Wortlaut der Gesetze unterscheidet und dass nach dem Wortlaut des Gesetzes in Mecklenburg-Vorpommern die Aufstellung eines Bauleitplans nicht Gegenstand eines Bürgerbegehrens sein kann. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg gelangt mit einer extensiven Auslegung des Begriffs „Bauleitpläne“ zu der Auffassung, dass sämtliche bauleitplanerischen Verfahrensschritte von der Ausnahme umfasst sind und bezieht so auch verfahrenseinleitende Beschlüsse in die gesetzliche Ausnahme mit ein, nimmt aber eine Rückausnahme für grundsätzliche Entscheidungen über die städtebauliche Entwicklung der Gemeinde im Vorfeld einer Bauleitplanung vor. Grundlage für die Rückausnahme ist daher die extensive Auslegung durch den Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg. Die Rechtslage in Baden-Württemberg unterscheidet sich daher ganz erheblich von der Rechtslag ein Mecklenburg-Vorpommern.

Die Übertragung der Rechtsprechung aus Baden-Württemberg würde auch zu völlig widersinnigen Ergebnissen führen, denn die Konsequenz wäre, dass die Gemeinde sich erst ab dem Zeitpunkt des Aufstellungsbeschlusses auf die Ausnahmewirkung des § 20 Absatz 2 Nummer 4 KV M-V berufen könnte, sodass Bürgerbegehren über die Aufstellung von Bauleitplänen erst dann unzulässig wären, wenn die Aufstellung des Bauleitplans bereits vollzogen ist. Das läuft aber dem Wortlaut des Gesetzes zuwider. Ein Bürgerbegehren ist nicht erst dann unzulässig, wenn ein Aufstellungsbeschluss bereits in der Welt ist. Der Ausnahmetatbestand „Aufstellung“ wäre dann ohne Anwendungsbereich.

Klare Rechtslage in M-V, kein Bürgerbegehren gegen die „Aufstellung“ einer Bauleitplanung

In Mecklenburg-Vorpommern ist die Rechtslage hingegen klar. Das Gesetz bestimmt explizit, dass die „Aufstellung“ von Bauleitplänen nicht Gegenstand eines Bürgerbegehrens sein kann. Es besteht daher für eine extensive Auslegung der Kommunalverfassung M-V, wie sie vom Verwaltungsgerichtshof B-W für die Gemeindeordnung B-W vorgenommen worden ist, kein Grund und keine Veranlassung. Die baden-württembergische Rechtsprechung kann daher nicht herangezogen werden, um ein gegen die Aufstellung einer Bauleitplanung gerichtetes Bürgerbegehren zu rechtfertigen. Ein Bürgerbegehren, welches sich faktisch gegen die Aufstellung eines Bauleitplans richtet, ist in Mecklenburg-Vorpommern schlichtweg unzulässig.

Das Gericht lässt auch weitere Aspekte, die hier näher zu beleuchten wären, unberücksichtigt: Sofern es sich bei dem Bebauungsplan um einen vorhabenbezogenen Bebauungsplan handelt, hätte über den Antrag nach billigem Ermessen entschieden werden müssen. Eine solche Ermessensentscheidung ist einem Bürgerbegehren, dessen Ergebnis lediglich „ja“ oder „nein“ sein kann, nicht zugänglich. Die Ausführungen des VG Schwerin lassen außerdem erkennen, dass es den Aufstellungsbeschluss im Sinne des Baugesetzbuchs als formalen Akten ansieht, indem es ausführt, dass der unmittelbar bevorstehende Aufstellungsbeschluss das Bürgerbegehren zu vereiteln drohe. Tatsächlich stellt das BauGB aber keine besonderen Anforderungen an einen Aufstellungsbeschluss. Unter „Aufstellungsbeschluss“ ist im Sinne des BauGB lediglich zu verstehen, dass die Gemeinde sich dazu entschließt, mit der Planung zu beginnen. Diese Anforderungen können auch erfüllt sein in Bezug auf einen Beschluss, der nicht die Bezeichnung „Aufstellungsbeschluss“ trägt.

Nächste Instanz: OVG M-V

Es bleibt abzuwarten, ob das Oberverwaltungsgericht M-V diese Entscheidung bestätigt. Damit rechne ich nicht. Sofern das geschieht, ist allerdings davon auszugehen, dass der Raum für Bürgerbegehren im Rahmen der Bauleitplanung deutlich ausgeweitet wird. Der vom Landesgesetzgeber verfolgte Zweck, wichtige Entscheidungen im Bereich der Bauleitplanung dem Anwendungsbereich des Bürgerbegehrens zu entziehen würde dann verfehlt werden und man darf die Frage stellen, welchen Sinn die gesetzliche Ausnahme für die „Aufstellung“ von Bauleitplanung hat, wenn die Aufstellung mit einem Bürgerbegehren untersagt werden kann. Aus meiner Sicht wird der Ausnahmetatbestand damit gegenstandslos. Praktisch könnte dann in Mecklenburg-Vorpommern jegliche Bauleitplanung mit einem Bürgerentscheid verhindert werden.

Ausweitung von Bürgerbegehren ist Sache des Gesetzgebers

Von der hier thematisierten Rechtslage ist die Frage zu unterscheiden, ob die in der Kommunalverfassung M-V geregelten Ausnahmetatbestände sinnvoll sind. Das ist keine rechtliche Frage des Verwaltungsrechts, sondern eine politische Frage. Gegen die Ausnahme wird vorgebracht, dass dadurch das Bürgerbegehren entwertet wird und dass dies dem Demokratieprinzip zuwiderlaufe. Die Argumentation mit dem Demokratieprinzip halte ich aber für verfehlt, denn darauf können sich auch die zur Entscheidung berufenen Gemeindevertreter berufen, denn diese beziehen ihre Legitimation durch eine demokratische Wahl. Sofern man den Bereich der Bauleitplanung zum Gegenstand von Bürgerbegehren machen möchte, sind dazu aber nicht die Gerichte berufen, sondern der Gesetzgeber.