Die Frage nach dem Umgangsrecht bei getrennt lebenden Eltern ist ein komplexes Thema. Besonders heikel wird es, wenn nahezu volljährige Jugendliche sich gegen Kontakte mit einem Elternteil aussprechen.
Ein Beschluss des OLG Braunschweig vom 26.09.2024 – Az. 1 UF 73/24 befasst sich mit dieser Problematik und zeigt auf, wie Gerichte das Kindeswohl und die Selbstbestimmungsrechte von Jugendlichen berücksichtigen.
In dem Beschluss geht es um den Antrag eines Vaters auf eine gerichtliche Umgangsregelung mit seiner 17-jährigen Tochter. Im Zentrum der Entscheidung stand der klare Wille der 17-Jährigen, keinen geregelten Kontakt mit ihrem Vater zu wünschen. Sie begründete ihre Haltung nachvollziehbar dahingehend, dass sie die Begegnungen als belastend empfindet und sich durch ihren Vater unter Druck gesetzt fühlt. Gleichzeitig machte sie deutlich, dass sie ihren Vater bei Bedarf eigenständig kontaktieren könne.
Es wurde durch das OLG weder eine Umgangsregelung getroffen noch ein Ausschluss ausgesprochen. Das Gericht stellte fest, dass eine gerichtliche Regelung oder ein erzwungener Umgang ihre Entwicklung zu einer selbstbewussten Erwachsenen beeinträchtigen würde. Diese Einschätzung deckt sich mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25.04.2015, 1 BvR 3326/14), das betont, dass ein gegen den Willen eines Jugendlichen durchgesetzter Umgang dessen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG verletzen kann. Ein gegen den Widerstand eines Jugendlichen erzwungener Umgang und die damit verbundene Erfahrung eines Kontrollverlustes, würde die Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit erschweren und damit Schaden verursachen. Diesem Aspekt kommt mit zunehmendem Alter eines Jugendlichen daher vermehrt Bedeutung zu. Weiter stellte das OLG klar, dass der Verzicht auf eine Umgangsregelung nicht die Grundrechte des Vaters verletzt, da damit kein Umgangsverbot ausgesprochen wurde und es der Tochter freisteht, den Kontakt zum Vater eigenständig zu gestalten. In der Abwägung zwischen den Rechten des Vaters und den Interessen der Jugendlichen genießt das Kindeswohl Vorrang.
Der Beschluss des OLG steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach Gerichte grundsätzlich entweder eine Umgangsregelung treffen oder den Umgang einschränken bzw. ausschließen müssen. Ausnahmen sind jedoch möglich, insbesondere bei fast volljährigen Jugendlichen, die, wie im Fall des OLG, eine Umgangsregelung ablehnen.
Die Entscheidung zeigt, wie wichtig die Berücksichtigung des Kindeswillens und der individuellen Umstände im Umgangsrecht ist. Gerade bei älteren Jugendlichen kann eine gerichtliche Regelung mehr Schaden anrichten als nutzen. Diese Entscheidung ist ein starkes Signal dafür, dass Kindeswohl und Persönlichkeitsrechte zentrale Leitlinien im Umgangsrecht bleiben – selbst wenn dies bedeutet, dass ein Elternteil ohne gerichtliche Unterstützung auf die Eigeninitiative des Kindes angewiesen ist.
Sie haben Fragen zum Thema oder anderen familienrechtlichen Fragestellungen, rufen Sie einfach an – unsere langjährig erfahrenen Fachanwältinnen für Familienrecht stehen Ihnen gern kompetent zur Seite.