Schadensersatzansprüche nach Verkehrsunfällen und die Regulierungspraxis der Kfz-Haftpflichtversicherer bei fiktiver Schadensabrechnung
Nach einem Verkehrsunfall sehen sich viele Geschädigte nicht nur mit den materiellen Folgen konfrontiert, sondern auch mit Schwierigkeiten bei der Schadensregulierung durch die Kfz-Haftpflichtversicherer. Insbesondere bei der fiktiven Schadensabrechnung, bei der der Schaden auf Grundlage eines Gutachtens abgerechnet wird, kommt es immer wieder zu Kürzungen und Verzögerungen. Versicherer kürzen systematisch Positionen aus den Gutachten und verweisen oft auf günstigere Alternativen, ohne dass diese realistisch wären. Besonders häufig betroffen sind Posten wie Verbringungskosten, UPE-Aufschläge oder Beilackierungskosten.
Was ist die fiktive Schadensabrechnung?
Die fiktive Schadensabrechnung ist eine in § 249 Abs. 2 BGB verankerte Möglichkeit, den Schaden auf Grundlage eines Gutachtens zu regulieren, ohne dass eine tatsächliche Reparatur erfolgt. Dies verschafft dem Geschädigten eine gewisse Flexibilität. Der Geschädigte ist nicht verpflichtet, das Fahrzeug reparieren zu lassen, sondern kann den Schaden auf Basis der voraussichtlichen Reparaturkosten abrechnen. Der BGH hat in ständiger Rechtsprechung bestätigt, dass diese Form der Schadensregulierung legitim ist und die notwendigen Kosten auch ohne tatsächliche Reparatur erstattungsfähig sind.
Praxis der Versicherer: Kürzungen und Verzögerungen
Trotz der klaren Rechtslage setzen Versicherer oft auf automatisierte Prüfberichte, die bestimmte Kostenpositionen streichen. Dabei handelt es sich insbesondere um Verbringungskosten, UPE-Aufschläge (Kostenaufschläge für Ersatzteile auf Basis unverbindlicher Preisempfehlungen) sowie Beilackierungskosten. Versicherer argumentieren häufig, dass diese Kosten unnötig oder vermeidbar seien und verweisen auf vermeintlich günstigere Reparaturalternativen, die jedoch realistisch oft nicht in Anspruch genommen werden können. Diese Praxis führt nicht selten zu langwierigen Auseinandersetzungen und unnötigen Verzögerungen in der Schadensregulierung.
Gerichtsurteile zugunsten der Geschädigten
Zwei aktuelle Urteile von Amtsgerichten verdeutlichen, dass diese Kürzungen in vielen Fällen unzulässig sind und der Geschädigte Anspruch auf volle Erstattung hat:
Urteil des Amtsgerichts Kiel vom 18.06.2024 (Az. 115 C 140/24)
Das Amtsgericht Kiel entschied, dass sowohl Verbringungskosten als auch UPE-Aufschläge bei der fiktiven Schadensabrechnung grundsätzlich erstattungsfähig sind, wenn sie üblicherweise in der Region anfallen. Der Sachverständige hatte im vorliegenden Fall die regionalen Gepflogenheiten bei markengebundenen Werkstätten berücksichtigt und diese Kosten im Gutachten aufgeführt. Das Gericht stellte klar, dass der Geschädigte bei einer Abrechnung auf Gutachtenbasis Anspruch auf die Reparaturkosten hat, die in einer markengebundenen Werkstatt anfallen würden. Dabei stellte das Gericht auch fest, dass die häufig von Versicherern angeführte Möglichkeit einer günstigeren Reparatur nur dann relevant ist, wenn diese dem Geschädigten konkret und zumutbar angeboten wird. Andernfalls darf er die marktüblichen Preise zugrunde legen, wie sie im Gutachten ermittelt wurden.
Besonders betonte das Gericht, dass es für die Ersatzfähigkeit von Beilackierungskosten genügt, wenn diese im Gutachten als überwiegend wahrscheinlich dargestellt werden. Der BGH hatte hierzu bereits in einem Urteil vom 17.09.2019 (Az. VI ZR 396/18) entschieden, dass eine vollständige Sicherheit über die Notwendigkeit der Beilackierung nicht erforderlich ist, sondern es ausreicht, wenn die Notwendigkeit überwiegend wahrscheinlich ist.
Urteil des Amtsgerichts Mitte (Berlin) vom 13.06.2024 (Az. 122 C 263/23 V)
Das Amtsgericht Mitte kam zu einem ähnlichen Ergebnis und wies die Kürzungen der Versicherung ebenfalls als unberechtigt zurück. Auch hier hatten die Versicherer Positionen wie UPE-Aufschläge und Verbringungskosten pauschal gestrichen. Das Gericht stellte jedoch klar, dass diese Kosten vollumfänglich erstattungsfähig sind, solange sie im Gutachten korrekt ermittelt und regional üblich sind.
Das Gericht führte aus, dass der Versicherer nicht einfach Positionen aus dem Gutachten herausstreichen darf, nur weil er alternative Berechnungen oder günstigere Möglichkeiten anführt. Entscheidend sei, was im Einzelfall zur Wiederherstellung des Zustands erforderlich ist. Es genügt, dass der Sachverständige in seinem Gutachten die Kosten als notwendig erachtet. Eine nachträgliche Überprüfung durch den Versicherer mithilfe automatisierter Prüfberichte kann diese Einschätzung nicht pauschal widerlegen, ohne dass substantielle Einwände vorgebracht werden.
Fazit
Die Praxis zeigt, dass Versicherer bei der fiktiven Schadensabrechnung häufig versuchen, Kosten zu kürzen oder die Auszahlung zu verzögern. Dies ist jedoch in vielen Fällen unzulässig. Geschädigte haben das Recht, auf Basis eines Sachverständigengutachtens den Schaden regulieren zu lassen, und müssen sich nicht auf unzumutbare günstigere Alternativen verweisen lassen. Gerichte bestätigen regelmäßig die Erstattungsfähigkeit der im Gutachten ermittelten Kosten – insbesondere bei UPE-Aufschlägen, Verbringungskosten und Beilackierungen.
Es lohnt sich daher für Geschädigte, Kürzungen der Versicherer nicht einfach hinzunehmen und sich rechtlich beraten zu lassen, um die vollen Ersatzansprüche durchzusetzen.
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