Verkehrsrecht: Überholer und Linksabbieger

Haftungsverteilung bei einem Unfall mit abbiegendem Fahrzeug

Sie kennen das: eine zweispurige Straße, im ländlich geprägten Raum, der Verkehr läuft äußerst zähflüssig. Es ist Erntezeit, Traktoren und Erntemaschinen sind auf den Straßen unterwegs. Um nicht lange aufgehalten zu werden, wird überholt. Ein Vorgang, wie er täglich mehrere hundert Male geschieht. Und dies in den weitaus meisten Fällen ohne besondere Vorkommnisse. Doch was, wenn ein vorausfahrendes Fahrzeug nach links abbiegt und es zu einem Unfall mit dem überholenden Fahrzeug kommt?

Nun, der „Teufel steckt im Detail“. Die Verpflichtung der Beteiligten zum Ersatz der Unfallschäden hängt insbesondere von den Verursachungsbeiträgen im jeweiligen Einzelfall ab. Die für die Abwägung maßgeblichen Umstände müssen nach Grund und Gewicht feststehen, d.h. unstreitig, zugestanden oder bewiesen sein.

Ein Linksabbieger muss zeitgerecht den Fahrtrichtungsanzeiger (Blinker) setzen (§ 9 Abs. 1 S. 1 StVO), zuvor seiner ersten Rückschaupflicht nachkommen, sich sodann rechtzeitig zur Mitte der Fahrbahn (§ 9 Abs. 1 S. 2 StVO) einordnen und nochmals unmittelbar vor dem Abbiegen vergewissern, dass das beabsichtigte Abbiegen gefahrlos möglich ist (zweite Rückschaupflicht). Wird all dies mit der gebotenen Sorgfalt befolgt, kann durch den Linksabbieger ein überholendes Fahrzeug nicht übersehen werden. Kommt es dennoch zur Kollision, spricht der Anscheinsbeweis dafür, dass der Linksabbiegende den Unfall verursacht hat. Der Linksabbieger muss dann den Anscheinsbeweis erschüttern, um nicht der alleinigen Haftung ausgesetzt zu sein.

Eine Mithaftung des Überholenden kommt insbesondere in Betracht, wenn auch nur  geringfügige  Anhaltspunkte dafür vorlagen, dass ein Fahrzeug links abwiegen will, sich entlang des Überholweges linksseitig ersichtlich Grundstückszufahrten oder abgehende Straßen befinden, die Länge der zu überholenden Fahrzeugkolonne, ein Überholverbot missachtet oder bei unklarer Verkehrslage (wie z.B. unübersichtlicher Straßenverlauf) oder mit überhöhter Geschwindigkeit überholt wird oder sich das Überholen aus anderen Gründen als risikobehaftet oder gar als grob verkehrswidrig und rücksichtslos darstellt. Je nach Einzelfall kann dem Überholenden die sogar überwiegende Haftung auferlegt werden, dies bis dahin, dass eine Mithaftung des Linksabbiegenden zurücktritt, der Überholende allein haftet.

In der Rechtsprechung finden sich unzählige Einzelfallentscheidungen, die aufzeigen, dass der Überholende zumeist einer Mithaftungsquote ausgesetzt ist. Kürzlich erst hat das Oberlandesgericht Zweibrücken mit Beschluss vom 24.04.2024 (Az. 1 U 116/23) eine Haftungsverteilung 25/75 zu Lasten des überholenden PKW vorgenommen. Dem lag zugrunde, dass ein PKW einen abbiegenden Traktor trotz bestehenden Überholverbots überholte.

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