Rechtsprechungsänderung – Übertragung der Werkstattrisiko-Grundsätze auf überhöhte Kostenansätze von Kfz-Sachverständigen, Auswirkungen des Urteils des Bundesgerichtshofes vom 12.03.2024 – VI ZR 280/22
Unter Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung hat der für das Verkehrsrecht zuständige VI. Zivilsenat des Bundegerichtshofes (BGH) mit Urteil vom 12.03.2024 entschieden, dass überhöhte Sachverständigenkosten nach den Grundsätzen des Werkstattrisikos, welche der BGH in jüngster Vergangenheit mit seinem Grundsatzurteil vom 16.01.2024 – VI ZR 253/22 präzisiert hatte, zu behandeln sind.
Der Geschädigte ist grundsätzlich berechtigt, zur Feststellung der Höhe des Unfallschadens einen qualifizierten Sachverständigen zu beauftragen. Hierbei hat der Geschädigte einerseits zur Vermeidung eines Auswahlverschuldens im Rahmen des ihm Zumutbaren den wirtschaftlicheren Weg zu gehen, muss sich also vor einer Beauftragung über die Kosten des Sachverständigen kundig machen und wenn diese erkennbar deutlich überhöht sind, eine abweichende Beauftragung vornehmen, also einen günstigeren qualifizierten Sachverständigen heranziehen. Der Geschädigte darf andererseits darauf vertrauen, dass der von ihm beauftragte Sachverständige korrekt abrechnet, es sei denn, für den Geschädigten sei die in Rechnung gestellte Forderung des Sachverständigen laienhaft erkennbar überhöht (Plausibilitätskontrolle). Zu erstatten sind demzufolge auch solche Rechnungspositionen, die ohne Schuld des Geschädigten unangemessen sind; die Mehraufwendungen, die darauf beruhen, dass der Sachverständigen die Kalkulation der Sachverständigenkosten nach der Schadenhöhe vornimmt und diese unzutreffend hoch einschätzt sowie Rechnungspositionen, welche sich auf für den Geschädigten auf nicht erkennbar tatsächlich nicht durchgeführte Maßnahmen im Zusammenhang mit der Begutachtung beziehen.
Hat der Geschädigte die Rechnung des Sachverständigen bislang nicht oder nicht vollständig gezahlt, kann er vom Schädiger bzw. dessen KH-Versicherung Zahlung der offenen Forderung des Sachverständigen nicht an sich sondern nur an den Sachverständigen verlangen, und zwar Zug um Zug gegen Abtretung ggf. der aus dem Sachverständigenrisiko erwachsenen Ansprüche (s.o.) des Geschädigten gegen den Sachverständigen. Verlangt der Geschädigte stattdessen aber Zahlung der offenen Forderung des Sachverständigen an sich oder verlangt er eine Freistellung, übernimmt der Geschädigte das Sachverständigenrisiko (s.o.).
Bei bereits gezahlter Rechnung durch den Geschädigten ergibt sich aus der Gleichstellung mit den Grundsätzen des Werkstattrisikos unter Beachtung des subjektbezogenen Schadenbegriffes das Erfordernis, dass der Geschädigte die Zahlung der Sachverständigenkosten nur Zug um Zug gegen Abtretung gegebenenfalls bestehender werkvertraglicher Rückforderungsansprüche gegen den Sachverständigen verlangen kann, was aus dem Erfordernis des Vorteilsausgleiches folgt. Dies muss nicht nur zwingend bei der Antragsstellung im gerichtlichen Verfahren beachtet werden. Vielmehr sollte bereits bei der Geltendmachung der Schadensersatzpositionen bei der KH-Versicherung des Schädigers entsprechendes Augenmerk darauf gelegt werden.
Hat sich der sich der Sachverständige vom Geschädigten dessen Schadensersatzforderung gegenüber dem Unfallverursacher in Höhe der Honorarforderung des Sachverständigen abtreten lassen, so ist es dem Sachverständigen abgeschnitten, sich auf das den Geschädigten schützende Sachverständigenrisiko zu berufen. Der Sachverständige hat dann darzulegen und erforderlichenfalls zu beweisen hat, dass seine abgerechneten Leistungen im Rahmen seiner Begutachtung durchgeführt wurden und erforderlich waren.
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