Verkehrsrecht: Totalschaden oder doch nicht – was sagt der Bundesgerichtshof – eine Erläuterung des „Vier-Stufen-Modells“ des Bundesgerichtshofs

Die Frage, wann bei einen unfallbedingt beschädigten Fahrzeug ein Totalschaden vorliegt, ist von erheblicher Relevanz für die Regulierung von Verkehrsunfällen. Dabei geht es um die praktische Bewertung von Reparaturkosten im Verhältnis zum Restwert eines Fahrzeugs. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat hierzu die sogenannte Stufentheorie entwickelt, die es ermöglicht, eine klare Abgrenzung zwischen wirtschaftlich sinnvollen und unsinnigen Reparaturen vorzunehmen. Dies hat unmittelbare Auswirkungen auf die Erstattung eines unfallbedingt eingetretenen Schadens.

 

Die Grundlagen der Stufentheorie

Ein wirtschaftlicher Totalschaden liegt vor, wenn die Reparaturkosten eines Fahrzeugs zzgl. einer etwaig festgestellten Wertminderung den sachverständig festgestellten Wiederbeschaffungswert übersteigen. Der Wiederbeschaffungswert ist der Betrag, den der Geschädigte benötigt, um ein gleichwertiges Fahrzeug zu erwerben. Daneben spielt der Restwert des beschädigten Fahrzeugs eine maßgebliche Rolle. Dies ist der Betrag, den der Geschädigte durch den Verkauf seines beschädigten Fahrzeuges erzielen kann. Der Wiederbeschaffungswert abzüglich des Restwerts ist  der Wiederbeschaffungsaufwand.

 

Totalschaden nach der Stufentheorie: Die Berechnung und die vier Fallgruppen

Die Stufentheorie arbeitet mit einer klaren wirtschaftlichen Abwägung, die sich in vier Fallgruppen gliedert:

  1. Reparaturkosten unter dem Wiederbeschaffungswert: In diesem Fall werden die Reparaturkosten von der Versicherung übernommen, da die Reparatur wirtschaftlich sinnvoll ist. Es handelt sich um keinen Totalschaden. Die Mehrwertsteuer wird nur ersetzt, insoweit sie tatsächlich angefallen ist.
  2. Reparaturkosten zwischen dem Wiederbeschaffungsaufwand und Wiederbeschaffungswert: Hier har der Geschädigte nur dann Anspruch auf die vom Sachverständigen geschätzten fiktiven Reparaturkosten ohne Abzug des Restwertes, wenn er das Fahrzeug tatsächlich verkehrssicher reparieren lässt und mindestens sechs Monate weiter nutzt, wobei die Qualität der Reparatur keine Rolle spielt.
  3. Reparaturkosten zzgl. Wertminderung bis 130 % des Wiederbeschaffungswerts: In diesem Fall kann der Geschädigte sachverständig festgestellte Reparaturkosten, die zuzüglich einer etwaigen merkantilen Wertminderungbis zu 30 % über dem Wiederbeschaffungswert liegen, nur verlangen, wenn er sein Fahrzeug vollständig (in einem Umfang, wie ihn der Sachverständige zur Grundlage seiner Schadenschätzung gemacht hat) und fachgerecht reparieren lässt und er das Fahrzeug mindestens sechs Monate weiter nutzt. Anderenfalls ist der Anspruch auf den Wiederbeschaffungsaufwand beschränkt.
  4. Reparaturkosten zuzüglich Wertminderung über 130 % des Wiederbeschaffungswertes: Wenn die im Gutachten kalkulierten Reparaturkosten zuzüglich einer etwaigen merkantilen Wertminderung mehr als 30 % über dem Wiederbeschaffungswert liegen, ist die Reparatur in der Regel wirtschaftlich nicht vernünftig. Lässt der Geschädigte sein Fahrzeug dennoch reparieren, so können die Kosten nicht in einen wirtschaftlich vernünftigen Teil (bis 130 % des Wiederbeschaffungswertes) und einen vom Geschädigten selbst zu tragenden wirtschaftlich unvernünftigen Teil aufgespalten werden. In diesem Fall hat der Geschädigte nur Anspruch in Höhe des Wiederbeschaffungsaufwandes im Rahmen der Totalschadenabrechnung

 

Praktische Relevanz

In der Praxis bedeutet dies, dass ein Geschädigter immer eine Kosten-Nutzen-Abwägung durchführen muss. Die Versicherung des Unfallverursachers wird in der Regel nur die Kosten bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswerts übernehmen, es sei denn, die 130 %-Regel greift.

Beispiel:

  • Wiederbeschaffungswert: 10.000 Euro
  • Restwert: 2.000 Euro
  • Reparaturkosten: 12.000 Euro

Da die Reparaturkosten hier 120 % des Wiederbeschaffungswerts betragen, könnte die 130 %-Regel greifen, wenn der Geschädigte das Fahrzeug reparieren lässt und weiterhin nutzt.

 

Fazit

Die Stufentheorie des Bundesgerichtshofs bietet eine ausgewogene Lösung, die sowohl die Interessen des Geschädigten als auch wirtschaftliche Gesichtspunkte berücksichtigt. Sie klärt die Frage, wann eine Reparatur sinnvoll ist, und sorgt für Transparenz bei der Schadensregulierung.

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