Auch bei nacheinander erfolgenden Einzelerklärungen kommt eine Gesamtabnahme in Betracht, selbst bei langen Mängellisten.
Es mag ungewöhnlich klingen, doch gerade bei sehr aufwändigen Bauvorhaben kommt es immer wieder vor, dass sich Abnahmebegehungen über mehrere Tage hinweg erstrecken oder abschnittsweise nach und nach verschieden Bauteile über Monate hinweg abgenommenen werden. In diesen Konstellationen ist es fraglich, ob am Ende nochmals eine Gesamtabnahme des Gesamtwerkes stehen muss, damit eine Abnahme im Sinne des § 640 BGB vorliegt und somit deren Rechtswirkungen eintreten können.
Die Frage ist deshalb von entscheidender Bedeutung, weil mit der Abnahme insbesondere folgende, für den Werkunternehmer günstige Rechtsfolgen verknüpft sind:
- Mit der Abnahme ist die Fälligkeitsvoraussetzung für den Vergütungsanspruch des Werkunternehmers eingetreten. Vorher darf der Auftragnehmer die Bezahlung noch verweigern, da eine Vorleistungspflicht des Werkunternehmers besteht.
- Es kann der Fall eintreten, dass ein ohne Verschulden des Werkunternehmers untergeht oder sich verschlechtert, beispielsweise beschädigt wird, oder gar gestohlen wird. Vor der Abnahme bleibt der Werkunternehmer in der Pflicht, die Leistung erneut bzw. mangelfrei zu erbringen. Danach wird er von dieser Verpflichtung frei. Die so genannte Leistungsgefahr ist auf den Auftragnehmer übergegangen.
- Sollte das Werk aus einem von den Parteien nicht verschuldeten Umstand vor Abnahme untergehen, kann der Werkunternehmer insoweit keinen Ersatz seiner Aufwendungen bzw. Vergütung verlangen. Er trägt die so genannte Vergütungsgefahr.
- Schließlich endet mit dem Zeitpunkt der Abnahme auch die Pflicht des Werkunternehmers, das Werk zu schützen (Schutzpflicht).
- Mit der Abnahme endet der Zeitraum, in dem der Werkunternehmer zur Erfüllung der Leistung verpflichtet ist. Er hat sein Werk erfüllt. Nach der Abnahme ist seine Arbeit nur noch auf das abgenommene Werk, mithin auf dessen „Gewährleistung“ gerichtet.
- Daher beginnt mit der Abnahme grundsätzlich auch die Gewährleistungsfrist für Gewährleistungsansprüche zu laufen.
- Eine der wichtigsten Wirkungen der Abnahme ist wohl die Umkehr der Beweislast. Bis zur Abnahme muss der Werkunternehmer beweisen, dass er sein Werk frei von Mängeln erbracht hat, danach muss der Auftragnehmer beweisen, dass der Werkunternehmer mangelhaft geleistet hat, sofern er bei der Abnahme keinen Vorbehalt bezüglich der Mängel formuliert hat.
Die vorstehenden Ausführungen führen die Relevanz der eingangs erwähnten Rechtsfrage vor Augen.
Der Bundesgerichtshof hat nun jüngst mit Beschluss vom 22.12.2011 (Az. VII ZR 85/11) klargestellt, dass auch eine Gesamtabnahme der Werksleistungen vorliegen kann, wenn keine Abnahme aufgrund einer zusammenhängenden Baubegehung erfolgt ist. Auch wenn für einzelne Bauabschnitte jeweils zeitlich nacheinander Begehungen mit Abnahmebescheinigungen erfolgen, kommt eine Gesamtabnahme in Betracht. Werden bis zum Abschluss der letzten Abnahmebegehung alle Bauteile erfasst, so der BGH, sei damit die Abnahme der Gesamtleistung erfolgt. Diese erfolge auch mit der Teilabnahme des letzten, in sich abgeschlossenen und funktionsfähigen Bauteils. Eines zusammenfassenden Abnahmeprotokolls oder zusammenfassenden Abnahmebegehung bedürfe es demnach nicht.
Nach der Entscheidung des BGH kommt es somit auch zu einer Gesamtabnahme, wenn für alle Leistungen die Abnahme im Einzelnen „stückweise“ oder zeitlich gestreckt erklärt werden. Der Nachweis dessen, obliegt dem Auftragnehmer.
Interessant ist auch, dass nach der vorgenannten Entscheidung des BGH selbst dann, wenn eine Vielzahl von Mängeln in den Begehungsprotokollen aufgelisteten werden, daraus keine Aussage über die (fehlende) Abnahmefähigkeit der Leistung getroffen werden könne. Die Länge einer Mangelliste treffe keine Aussage über die Abnahmefähigkeit eines Bauteils.
Insoweit erscheint bei zeitlich aufeinanderfolgenden Erklärungen zu einzelnen Bauteilen extreme Vorsicht geboten, insbesondere wenn diese ausdrücklich als „Abnahmebescheinigungen“ abgegeben werden sollen. Ergänzen sich diese Erklärungen zu allen wesentlichen Vertragsleistungen, kann die damit zum Ausdruck gebrachte umfangreiche Billigung der einzelnen Bauwerkteile widrigenfalls zur Gesamtabnahme mit den vorbezeichneten erheblichen Rechtswirkungen führen.