Müssen Rechtsanwälte Robe tragen?

Ein geflügeltes Wort besagt, dass Rechtsanwälte Robe zu tragen haben, damit „man die Spitzbuben schon von weitem erkennt“. Doch wie weit reicht die Robenpflicht von Rechtsanwälten?

Der Jurist würde sagen, dass grundsätzlich eine Robenpflicht besteht. Grundsätzlich heißt im Juristendeutsch, dass es von diesem Grundsatz Ausnahmen gibt. Es hilft der Blick in das Gesetz: Gemäß § 20 Satz 1 BORA hat der Rechtsanwalt vor Gericht eine Robe zu tragen, soweit das üblich ist. Der einschränkende letzte Teilsatz wird überwiegend in der Fachliteratur und in der Rechtsprechung so verstanden, dass bei Hauptverhandlungen vor den Gerichten, nicht aber z.B. bei Ortsterminen, die Robenpflicht besteht.

Die Regelung lautet dann aber weiter in § 20 Satz 2 BORA: Eine Berufspflicht zum Erscheinen in Robe besteht beim Amtsgericht in Zivilsachen nicht. Aufgrund dessen darf der Anwalt vor den Amtsgerichten in Zivilsachen eine Robe tragen, er muss dies aber nicht tun. Trägt der Anwalt vor dem Amtsgericht in Zivilsachen keine Robe, kann dies keinerlei Sanktionen nach sich ziehen.

Dieser Auffassung folgen nicht alle Gerichte. Einige Gerichte wollen eine Pflicht zum Tragen einer Robe herleiten aus den landesrechtlichen Regelungen oder aus Gewohnheitsrecht. In Mecklenburg-Vorpommern findet sich noch in § 7 Abs. 1 des Gesetzes zur Ausführung des Gerichtsstrukturgesetzes eine Regelung, nach der neben Richtern auch Rechtsanwälte eine von dem Justizministerium zu bestimmende Amtstracht zu tragen haben.

Diese Regelungen können aber keine Geltungskraft für sich beanspruchen. Denn gemäß dem Grundsatz „Bundesrecht bricht Landesrecht“ (Art. 31 GG) geht § 20 Satz 2 der BORA diesen Regelungen vor. Die BORA selbst ist als Satzung der Bundesrechtsanwaltskammer – ermächtigt durch ein Bundesgesetz, nämlich § 52b Abs. 2 Nr. 6 lit. c) BRAO – im Rang höher als die anders lautenden landesrechtlichen Bestimmungen. In der Literatur wird teilweise vertreten, dass ein Versuch, mit sitzungspolizeilichen Maßnahmen das Tragen der Robe am Amtsgericht in Zivilsachen zu erzwingen, den Tatbestand der Rechtsbeugung erfüllen kann. (Brüggemann in: Weyland, BRAO, 10. Auflage 2020, § 20 BORA Rn. 5.)

So weit muss es natürlich nicht kommen. In aller Regel tragen Anwälte auch vor den Amtsgerichten in Zivilsachen die Robe. Die Robe vor den Amtsgerichten nicht tragen zu wollen, ist oftmals auch kein Ausdruck fehlender Achtung vor dem Gericht oder den anderen Prozessbeteiligten, sondern ein abweichendes berufliches Selbstverständnis. Die Diskussion um die Robenpflicht kommt immer wieder auf. Ein Antrag zur Abschaffung der Robenpflicht ist im Jahr 2019 von der Satzungsversammlung der Bundesrechtsanwaltskammer mit großer Mehrheit abgelehnt worden. Damit bleibt es bei der Anwendung geltenden Rechts, also der Robenpflicht – im Grundsatz.

von Rechtsanwalt Carl-Henning Clodius