Tiefe Einschnitte in die Gerichtsstruktur von ‎Mecklenburg-Vorpommern

Am 09.10.2013 hat der Landtag Mecklenburg-Vorpommern das Gesetz zur Änderung des Gerichtsstrukturgesetzes und weiterer Rechtsvorschriften (Gerichtsstrukturneuordnungsgesetz) beschlossen, das 2014 in Kraft treten wird.

Es sieht vor, die Zahl der Amtsgerichte im Land von jetzt 21 auf zehn plus sechs Außenstellen zu verringern. Geschlossen werden die Amtsgerichte in Hagenow, Ueckermünde, Bad Doberan, Wolgast und Ribnitz-Damgarten. Die Amtsgerichte Grevesmühlen, Parchim, Neustrelitz, Demmin, Wolgast und Bergen werden zu Zweigstellen.

Der Entscheidung vorausgegangen waren neben den vielen Protesten auch Anhörungen und eine lange Debatte im Parlament.

Justizministerin Uta-Maria Kuder (CDU) sieht in der Neuordnung eine Maßnahme zur Qualitätssicherung und hält die Reform angesichts des demografischen Wandels für unausweichlich. Größere Gerichtseinheiten seien überlebenswichtig für die Rechtspflege. So werden Vertretungsmöglichkeiten ohne Umwege geboten. Richter, Rechtspfleger und Servicekräfte können die anfallende Arbeit jederzeit gleichmäßig verteilen, entstandene Lücken sofort schließen und Verfahren garantiert bearbeiten. „Größere Einheiten ermöglichen zudem auch Effizienzgewinne durch Spezialisierungen“, so Justizministerin Kuder. „Die Justiz wird auf zukunftsfeste Beine gestellt dank des Beschlusses des Landtags für die Gerichtsstrukturreform. Die qualitativ hochwertige Arbeit der Justiz in Zukunft zu sichern, war stets das Ziel des Reformvorschlags der Landesregierung. Mit insgesamt 16 Gerichtsstandorten bleibt die Justiz sichtbar und angemessen vertreten im Flächenland Mecklenburg-Vorpommern. Dass das Land nach der Wirtschaftlichkeitsberechnung mit dieser Reform auch noch über 30 Millionen Euro in 25 Jahren einspart, ist positiver Nebeneffekt der Reform.“, stellte Ministerin Kuder klar.

Gegenstimmen aus der Kommunalpolitik, der Richter- und Anwaltschaft befürchten, dass für die Bürger und Rechtssuchenden zu lange Wege zu den Gerichten entstehen, teilweise werde – gerade für sozial schwache Personen – das Gericht faktisch unerreichbar. Mit der Schließung von 11 der 21 Amtsgerichte ziehe sich die Justiz dauerhaft aus der Fläche zurück. Das Land bekomme die mit deutlichem Abstand größten Amtsgerichtsbezirke der Republik. Derzeit gibt es bundesweit nur acht Bezirke mit einer Fläche von über 2.000 km². Nach der Reform werden allein hier im Land sechs Bezirke diese Grenze überschreiten, die Durchschnittsgröße werde bei ca. 2.300 km² liegen. Spitzenreiter werden die Bezirke Ludwigslust mit über 3.600 km² und Stralsund mit knapp 3.200 km² sein. Im Vergleich dazu verfügt das gesamte Saarland mit einer Fläche von ca. 2.500 km² über zehn Amtsgerichte. Bei diesen Flächenausdehnungen könne von bürgernaher Justiz jedenfalls keine Rede mehr sein.

Über diesen Rückzug aus der Fläche kann nach Auffassung der Reformgegner auch die Einrichtung von sechs Zweigstellen nicht hinwegtäuschen. Diese ersetzen kein vollwertiges Amtsgericht sondern bieten nur einen Teil der bisherigen Rechtsprechungstätigkeit und Dienstleistungen an. Zudem seien Zweigstellen aus der Erfahrung heraus nicht auf Dauer angelegt. Überall seien sie stets nur eine Übergangslösung. So wurden auch in Mecklenburg-Vorpommern alle nach der letzten Strukturreform geschaffenen Zweigstellen inzwischen geschlossen. Man könne also sicher davon ausgehen, dass auch die jetzt mit der neuen Reform geplanten Zweigstellen nur eine Übergangsstation vom Amtsgericht zur vollständigen Schließung sein werden.

Hinzu käme noch Folgendes. Jedes Amtsgericht werde im Durchschnitt für über 160.000 Menschen zuständig sein – im Bundesdurchschnitt sind es 123.000, in vergleichbaren Flächenländern durchschnittlich nur 100.000 Einwohner pro Amtsgericht. Auch bei den prognostizierten 1,45 Mio. Einwohnern im Jahre 2030 würde dieser Durchschnitt mit 145.000 Einwohnern pro Amtsgericht weit überschritten werden.

Wie auch immer, die Reform ist beschlossene Sache. Ob sie durch das von den Reformgegnern initiierte Volksbegehren (www.richterbund.info/rotekarte.htm‎) oder außerdem mögliche Klagen gegen das Gesetz wieder gekippt werden kann, steht in den Sternen.

Der Zeitplan der Gerichtsstrukturreform in M-V gestaltet sich wie folgt. Ab dem 6. Oktober 2014 wird die Zahl von 21 Amtsgerichten stufenweise auf zehn Amtsgerichte und sechs Zweigstellen reduziert:

06.10.2014:

Allgemeines Inkrafttreten des Gesetzes

06.10.2014:

Umwandlung des Amtsgerichts (AG) Anklam zur Zweigstelle des AG Pasewalk

01.12.2014:

Auflösung AG Ueckermünde

02.02.2015:

Umwandlung des AG Neustrelitzin eine Zweigstelle des AG Waren

02.03.2015:

Sitzverlegung des Landessozialgerichtes von Neubrandenburg nach Neustrelitz

16.03.2015:

Auflösung AG Hagenow

11.05.2015:

Umwandlung des AG Parchimin eine Zweigstelle des AG Ludwigslust

11.05.2015:

Auflösung des AG Bad Doberan

13.07.2015:

Umwandlung AG Grevesmühlenin eine Zweigstelle des AG Wismar

31.08.2015:

Auflösung des AG Wolgast

28.09. 2015:

Umwandlung des AG Demminin eine Zweigstelle des AG Neubrandenburg

23.11.2015:

Umwandlung des AG Bergen/Rügen in eine Zweigstelle des AG Stralsund

27.02.2017:

Auflösung des AG Ribnitz-Damgarten

Es bleibt zu hoffen, dass die Menschen im Land die Folgen der Reform nicht allzu stark zu spüren bekommen werden. Fakt ist, dass der ländliche Raum und die dort lebenden Menschen wieder einmal das Nachsehen haben und wieder ein Stück ihrer Lebensqualität auf der Strecke bleibt. Jedenfalls ist der andauernde Rückbau von Infrastrukturen im ländlichen Raum, der sich durch alle Bereiche zieht, allein aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten heraus sicherlich kein Weg, den ländlichen Raum für die Menschen als Lebensort wieder attraktiv zu gestalten und der fortschreitenden Entvölkerung entgegen zu wirken. Fraglich ist auch, ob der Staat insoweit seiner Versorgungsverpflichtung überhaupt noch ausreichend nachkommt.